19. Juli 2008

fr-online.de
  "Das Alter mindert nicht die Schuld"
VON INGE GÜNTHER
 
 

Jerusalem. Der Gedanke, dass viele NS-Täter ungestraft davonkamen, schmerzt Eliahu Salpeter nach wie vor. Er hat Auschwitz und Nordhausen überlebt; 1949 kam er nach Israel, wo ihn das Thema Holocaust als Journalisten bis ins hohe Alter hinein beschäftigte. Heute ist Salpeter, der die Shoa erfahren und studiert hat, 80 Jahre alt. Wie viele Altnazis noch auf den Fahndungslisten stehen, weiß er zwar nicht zu sagen. Ihn beschäftigt mehr die Grundsatzfrage, "ob der Gerechtigkeit Genüge getan wird". Da zu wissen, dass einer wie Aribert Heim, KZ-Arzt, und sadistischer Massenmörder, "über 60 Jahre lang ungeschoren blieb, tut einem wirklich in der Seele weh".

Aber es ist mehr als das. Sollte Heim tatsächlich den Nazijägern in die Fänge gehen, verspricht sich Salpeter davon einen Abschreckungseffekt. "Die Holocaust-Überlebenden sterben aus, aber die Verbrechen geraten nicht in Vergessenheit." Das sollte allen Massenmördern - auch den künftigen - eine Lektion sein. Viele Staaten hätten allerdings nicht genug getan, um Nazi-Verbrechern habhaft zu werden. Deutschland nicht ausgenommen, "so sehr ich seine Bemühungen schätze, sich der Vergangenheit zu stellen".

Ohne die treibende Kraft des Simon-Wiesenthal-Zentrums jedenfalls wären zahlreiche NS-Täter nie vor Gericht gelandet. Logistische Hilfe, die entscheidenden Tipps erhielten die Nazijäger meist von "vor Ort". Dank enger Kooperation mit den jüdischen Gemeinden in der Diaspora sowie staatlichen Ermittlungsstellen ließ sich das Fahndungsnetz enger ziehen.

Dass das noch keine Erfolgsgarantie ist, zeigt der Fall Milivoj Asner, einst Chef der faschistischen Ustascha-Polizei, der an der Deportation von Juden und Serben beteiligt gewesen sein soll. Trotz seiner 90 Jahre gelang es ihm unterzutauchen, als er vor vier Jahren in Kroatien enttarnt wurde. Heute lebt er unbehelligt im österreichischen Klagenfurt, weil angeblich seine Gesundheit einem Prozess im Wege steht.

In Yad Vashem, Israels nationaler Holocaust-Gedenkstätte, hat man dafür wenig Verständnis. "Jeder Nazi, der gefasst wird, muss sich verantworten", nahm Sprecherin Estee Yaari Stellung zu der Meldung, das Wiesenthal-Center habe den "Todesarzt" Heim in Chile ausfindig gemacht. "Solche Verbrechen verjähren nicht."

Das Alter mindere nicht die Schuld. "Es sollte kein Faktor in der Beurteilung sein", sagte Yaari. Die Täter hätten genauso wenig die Opfer geschont, weil sie Kinder oder Greise waren. "NS-Täter zu bestrafen ist noch immer wichtig. Unser Wertesystem, basierend auf universellen Menschenrechten, kann sie nicht tolerieren."

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