30.07.2010 fr-online.de
Blinder Fleck im Leben des Ärztefunktionärs

Der Ärztepräsident Jörg-Dietrich Hoppe verschweigt in einem Nachruf die NS-Vergangenheit seines Vorgängers Hans Joachim Sewering.

Dass der vor kurzem verstorbene Ärztefunktionär Hans Joachim Sewering eine Nazi-Vergangenheit hatte, ist lange bekannt. Doch in dem Nachruf, den Ärztepräsident Jörg-Dietrich Hoppe gemeinsam mit Vorgänger Karsten Vilmar im Deutschen Ärzteblatt im Juli veröffentlichte, steht davon kein Wort. Mehr als 70 Ärzte und Medizinhistoriker haben nun in einem offenen Brief gegen dieses „Verschweigen der NS-Vergangenheit Sewerings“ protestiert.

Sewering, von 1973 bis 1978 Präsident der Bundesärztekammer, war höchst umstritten. Als 17-Jähriger trat er 1933 in die SS ein, 1934 in die NSDAP. Was schwerer wiegt: Der Internist wird beschuldigt, in NS-Verbrechen verstrickt zu sein. Als zuständiger Mediziner überwies er in den 1940er Jahren mindestens neun Heimkinder in die Heil- und Pflegeanstalt Eglfing-Haar, die, wie die Autoren des Protestbriefs betonen, für ihre „zentrale Rolle für die ,Euthanasie‘-Morde in Oberbayern damals in weiten Kreisen bekannt war“. Fünf der Kinder starben dort. Sewering bestritt jedoch, von den Vorgängen in Eglfing gewusst zu haben. Ein Ermittlungsverfahren gegen ihn wurde 1995 eingestellt. Die Vorwürfe hinderten Verbände nicht, den Mediziner zu ehren. 2008 zeichnete ihn der Berufsverband Deutscher Internisten aus.

„Um Ethik verdient gemacht“

Dass Hoppe und Vilmar in dem Nachruf die Vorwürfe verschweigen und schreiben, Sewering habe sich „um die Wahrung ethischer Normen ärztlichen Handelns verdient gemacht“, brachte Ärzte und Historiker auf. Man könne die Vita Sewerings in einem solchen Text nicht auf die Nachkriegszeit beschränken − zumal der Mediziner nie ein Wort des Bedauerns gefunden habe, sagte der Initiator des Protestbriefes, der Münchner Medizinhistoriker Gerrit Hohendorf, der FR. Die Unterzeichner baten, die Fakten nachzureichen.

Das Ärzteblatt, Organ der Bundesärztekammer, lehnte die Veröffentlichung des Leserbriefs zunächst ab, weil er von „falschen Voraussetzungen“ ausgehe. Die Zeitschrift habe sehr wohl über die Vergangenheit Sewerings berichtet, auch nach dessen Tod − allerdings nicht in diesem Nachruf. Der FR sagte Chefredakteur Heinz Stüwe, er sei verärgert gewesen über die „selektive Wahrnehmung“ der Kritiker. Der Nachruf sei als persönliche Erinnerung an den Verstorbenen gedacht gewesen. Und zu Nachrufen veröffentliche das Blatt normalerweise keine Leserbriefe. Allerdings werde noch geprüft, ob der Brief nicht doch abgedruckt werde. Nach einer Weile meldete sich Stüwe noch einmal bei der FR und kündigte an: Der Brief werde in der nächsten Ausgabe veröffentlicht.

Hoppe teilte der FR mit, er habe den „sehr persönlich gehaltenen Nachruf getreu dem Motto De mortuis nil nisi bene! (Über die Toten nichts als Gutes) verfasst“. Die Ärztekammer und auch er persönlich bemühten sich seit Jahren, „die Rolle und Verantwortung der Ärzteschaft im Nationalsozialismus aufzuarbeiten“.

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