3.01.2006
Hamburger Abendblatt
 

Auf der Spur der "Bestie in Weiß"

Von Thomas Frankenfeld

 
 


Nazi-Verbrechen: Deutsche Behörde ermittelt in Spanien und Südamerika. Immer noch sind Größen der NS-Zeit auf freiem Fuß und werden gesucht. Ein Wettlauf gegen die Zeit.

Im Konzentrationslager Mauthausen mußten die Gefangenen in Steinbrüchen bis zum Tod arbeiten. Wer dafür als zu schwach galt, wurde von den Lagerärzten als menschliches Versuchsobjekt mißbraucht.

Hamburg/Ludwigsburg -

Er gilt als "Bestie in Weiß", als noch sadistischer als der berüchtigte NS-Arzt Josef Mengele. Aribert Heim, 1914 im österreichischen Bad Radkersburg geboren, ermordete als Lagerarzt in den Konzentrationslagern Mauthausen und Buchenwald zahllose Häftlinge auf bestialische Weise.

Er ließ Menschen festschnallen und schnitt ihnen ohne Betäubung die Organe heraus, stoppte die Zeit, bis sie brüllend starben. Bisweilen narkotisierte er auch Häftlinge, weidete sie aus, entfernte die Gedärme, die Leber, die Milz, wie ein Zeuge notierte, um zu sehen, wie lange sie nach dem Erwachen noch lebten.

Im März 1945 wurde der stets elegante, 1,90 große Mann mit der V-förmigen Mensurnarbe von amerikanischen Truppen gefangengesetzt, aber schon 1949 unter äußerst fragwürdigen Umständen freigelassen.

Als Gynäkologe praktizierte der ehemalige SS-Arzt danach in Süddeutschland noch bis 1961. Als dann jedoch Anklage gegen ihn erhoben wurde, floh er. Sein Millionenvermögen liegt noch auf deutschen Konten. Im Oktober 2005 fanden Fahnder die Spur des 91jährigen an der spanischen Mittelmeerküste. Inzwischen ist er wohl nach Südamerika geflohen. 140 000 Euro Belohnung sind auf ihn ausgesetzt, sein Fall füllt Dutzende Aktenordner. Heim ist nach dem Eichmann-Handlanger Alois Brunner, der in Syrien untergetaucht sein soll, die Nummer 2 auf der Liste der meistgesuchten NS-Verbrecher.

Bei der Fahndung nach Heim und anderen NS-Verbrechern setzen die deutschen Behörden auch auf neues Material: Die 1958 gegründete Zentrale Stelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg hat wichtige Unterlagen und Hinweise aus den USA, Argentinien und Italien erhalten.

"Wir waren zweimal im Holocaust-Museum in Washington und haben Unterlagen in russischer und englischer Sprache erhoben. Diese werten wir zur Zeit aus", sagte der Leiter der Institution, Oberstaatsanwalt Kurt Schrimm, der Deutschen Presseagentur.

Wie Schrimm weiter mitteilte, handelt es sich bei dem gesichteten US-Material meist um Prozeßakten aus Beständen des sowjetischen Geheimdienstes KGB. "Es sind Gerichtsakten über Prozesse, die gegen deutsche Kriegsgefangene oder russische und ukrainische Kollaborateure geführt wurden", sagt Schrimm. "Wenn irgendwo die Stecknadel im Heuhaufen gesucht wird, dann bei uns." Schrimm verweist dabei auf den noch flüchtigen Aribert Heim alias "Dr. Tod".

Zweiter Schwerpunkt der weltweit größten Fahndungsstelle nach NS-Verbrechern ist Argentinien. Beim Studium der Akten hätten die Experten festgestellt, daß viele Personen, die nach Argentinien eingewandert sind, mit einem Paß des Internationalen Roten Kreuzes ausgestattet waren. "Da kam uns der Verdacht, daß darunter auch NS-Verbrecher sein könnten", sagt Schrimm. Als Beispiele, bei denen dies der Fall war, nennt Schrimm den berüchtigten KZ-Arzt Josef Mengele, der angeblich 1979 in Brasilien ertrank, den Organisator des Holocaust, SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann und den Kommandanten mehrerer SS-Zwangsarbeiterlager, Josef Schwammberger.

Der Arbeitsaufwand bezüglich der argentinischen Einwanderungsakten ist gewaltig: 800 000 Karteikarten, chronologisch nach Einreisedatum geordnet, müssen ausgewertet werden. Das sei nicht zu bewältigen, sagt Schrimm und vermutet weitere NS-Verbrecher auch in Paraguay, Uruguay und Chile. "Wir haben dort die deutschen Botschaften mit der Bitte angeschrieben, sich an die jeweiligen Regierungen zu wenden, uns Einwanderungsakten zur Verfügung zu stellen." Ziel sei eine systematische und flächendeckende Suche, denn: "Die Zeit rennt uns davon."

Insgesamt wurden in der alten Bundesrepublik im Zusammenhang mit NS-Verbrechen gegen mehr als 106 000 Menschen Vorermittlungs- und Ermittlungsverfahren geführt. Doch nur knapp 6500 Verdächtige wurden rechtskräftig verurteilt. Der Anteil der Ludwigsburger Stelle an den Vorermittlungen betrug rund 45 Prozent. Ihre Arbeit hat viele Verfahren ausgelöst.

Hamburger Abendblatt - 3.01.2006