03.06.2016 heise.de
Ukraine ehrt Pogrom-Verantwortungsverdächtigen
Peter Mühlbauer

Am 25. Mai unterbrach das öffentlich-rechtliche Fernsehen der Ukraine seine Sendungen für eine Minute und strahlte während dieser Zeit die Aufnahme einer brennenden Kerze aus. Anlass der Unterbrechung war keine technische Störung, sondern ein öffentliches Gedenken an den ukrainischen Nationalisten, ehemaligen Kriegsminister und Präsidenten Symon Petliura, der vor 90. Jahren im Pariser Exil von einem Anarchisten erschossen wurde.

Dieser Anarchist - Scholom Schwartzbard - wurde darauf hin zwar vor Gericht gestellt, aber nicht verurteilt. Grund dafür war, dass Schwartzbards Verteidiger Henri Torrés erfolgreich argumentierte, sein Mandant habe die Tat nicht etwa als russischer Agent, oder aus anderen niederen Motiven begangen, sondern um fünfzehn Familienangehörige zu rächen, die bei Pogromen ums Leben kamen.

Für diese Pogrome, bei denen insgesamt 35.000 bis 60.000 Juden ermordet wurden, machtenicht nur Schwartzbard Petljura verantwortlich. Auch Historiker glauben, dass seine Milizen in der Zeit zwischen 1917 und 1921 trotz einer offiziellen Strafandrohung für Gewalt gegen Zivilisten faktisch nicht mit Strafe rechnen mussten und dass dies dem Kosakensohn bewusst war.


In israelischen Medien kam die öffentliche Ehrung für den Ex-Präsidenten deshalb eher nicht gut an und löste eine Debatte über die Vergangenheit anderer Nationalhelden der Ukraine aus, die unter anderem die NS-Kollaborateure Stepan Bandera und Roman Schuchewytsch betrifft, die während des Zweiten Weltkrieges an der Ermordung von Tausenden Juden beteiligt gewesen sein sollen.

Gegen die öffentliche Ehrung solcher Personen erhob unter anderem Efraim Zuroff, der Israel-Direktor des Simon-Wiesenthal-Zentrums, Einwände. Er glaubt, dass damit indirekt NS-Greuel verharmlost werden. Ähnlich argumentiert Eduard Dolinsky, der Direktor des ukrainisch-jüdischen Komitees.

Ein jüdischer Ministerpräsident, aber Übergriffe in Schulen

Josef Zissels, der Vereinigung jüdischer Organisationen und Gemeinden (VAAD) vorsteht, glaubt dagegen nicht an solche gefahren. Seiner Ansicht nach leiden Juden in der Ukraine heute weniger unter Antisemitismus "als Juden in vielen anderen europäischen Staaten".

Seit dem 14. April kann er diese bereits vorher geäußerte Ansicht auch darauf stützen, dass Wolodymyr Hrojsman, der nach dem Rücktritt von Arsenij Jazenjuk neuer Ministerpräsident des Landes wurde, nicht nur jüdischer Herkunft ist, sondern such auch offen zu seinem Judentumbekennt. Zudem werden Straßen und Plätze nicht nur nach Personen wie Petliura, Bandera und Schuchewytsch benannt, sondern auch nach NS-Opfern wie dem 1942 ermordeten Lehrer Henryk Goldszmit. Der hatte nicht nur Kinderbücher geschrieben, sondern darauf bestanden, die Kinder eines von ihm betreuten Waisenhauses nach Treblinka zu begleiten.

Andererseits gibt es in jüngster Zeit auch immer wieder Berichte wie jene über die Teenager-Schwestern Marina und Alexandra Prokopowitsch aus der Kleinstadt Rokytne. Sie wurden an ihrer Schule nicht nur als "Zhids" (Juden), sondern auch als angebliche Separatisten ausgegrenzt, weil ihre Muttersprache Russisch ist. Dabei soll es immer wieder zu schweren gewaltsamen Übergriffen gekommen sein - eines der inzwischen nach Israel ausgewanderten Mädchen musste sogar genäht werden.

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